Eckhard Häßler (Jg. 1960): Die einzige Antwort auf die Frage, was ich tun kann: Totalverweigerung
Von Eckhard Häßler
Ich bin am 14.11.1960 in Annaberg Buchholz geboren und wurde durch die Entscheidung der Berufswahl aufgefordert mit 16 Jahren (Berufsausbildung mit Abitur-Instandhaltungsmechaniker/VEB Motorradwerk Zschopau) eine 3-jährige Verpflichtung zur NVA zu unterschreiben.
Diese erste Auseinandersetzung führte dazu, mich intensiver mit der Frage des Soldatseins auseinanderzusetzen. Da ich mit 15 konfirmiert wurde, begannen auch in dieser Zeit die Auseinandersetzungen zu der Frage des ethischen Verhaltens und im Besonderen zum 5. Gebot: “Du sollst nicht töten!“
Meine Bewerbung wurde abgelehnt, hatte ich doch bis zum Ende damit gekämpft, diese Verpflichtung zum Berufssoldat als Voraussetzung dazu unterschreiben zu sollen.
Diese erste Erfahrung war sehr prägend für die weitere Entwicklung. Meine Ausbildung folgte dann als Werkzeugmacher für Fertigungsmittel. Eine Ausbildung ohne Abitur. Inzwischen hatte ich mich eingehender mit den Fragen des Friedens und dem Sinn des Soldatseins beschäftigt und kam immer mehr zu dem Entschluss, keine Waffe in die Hand nehmen zu dürfen.
Ausschlaggebend war das Studieren der Bibel und verschiedener Texte und Bücher. Ein Bildband über Hiroshima und Nagasaki, der Liedtext von Wolf Biermanns „Soldat, Soldat“ oder Remarques Werk “Im Westen nichts Neues“. In verschiedenen Kreisen begann ich mich intensiver mit der Frage des Soldatseins zu beschäftigen. Mir halfen dabei sehr Gespräche mit Freunden und Liedermachern, Lyrikern und der regelmäßige Besuch des Friedensseminars in Königswalde (z.B. Tolstoi: „Rede gegen den Krieg“ / gewaltfreie Kommunikation / Konsensbildung in Konflikten / Gandhi / Martin Luther King). Hier reifte immer mehr mein Bewusstsein, dass ich als kleiner Mensch nur an einer Stelle in der DDR etwas bewusst machen kann, dem Militär und dieser Maschinerie zu entsagen oder mich dagegen zu stellen. Und das war der Wehrdienst. Dort sich eben nicht zu beteiligen als einzige Möglichkeit, etwas Aktives für den wirklichen Frieden zu tun.
Daraufhin folgte die Musterung, in der ich von sechs Uniformierten bedrängt wurde, den Dienst mit der Waffe zu tun - was ich aber nicht tat. Am 19.08.1982 forderte ich in einer Stellungnahme das Kreiswehrersatzamt auf, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich hiermit meine Einberufung als Spatensoldat beantrage.
In den folgenden 3 Jahren wurde ich Mitglied der Jungen Gemeinde in Annaberg und Ehrenamtlicher in der Jugendarbeit, sowie Teil einer Musikgruppe (Gänseblümchen). Hier vertiefte sich in den Texten und Treffen meine immer reifer werdende Haltung.
Ich erhielt den Einberufungsbefehl und folgte diesem nicht, sondern meldete mich im Wehrkreiskommando Annaberg am 28.10.1985.
Da ich dies auch meinen Eltern nicht mitteilte und nur im engeren Kreis als Entschluss bekannt machte, wurde ich nach drei Stunden Aufenthalt in die Haftanstalt nach Karl-Marx-Stadt / Kaßberg eingeliefert und inhaftiert.
Begleitet wurde ich seelsorgerlich von dem damaligen Jugenddiakon Gottfried Goldammer, der sich daraufhin um Kontakte zu dem Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider und meinen Eltern kümmerte.
In der Haft begann dann ein anderes Leben mit anderen, mir unbekannten Gesetzen und Ordnungen.
Ich erinnere mich noch heute über meine Wahrnehmung, dem Wehrdienst zu entsagen und dann in einer Einrichtung gelandet zu sein, in der militärische Disziplin herrschte. Ich musste lernen, mich beim Öffnen der Zellentür mit einer Nummer zu melden. Ich erwartete ein Urteil für zwei Jahre Inhaftierung und verbrachte 17 Tage in der U-Haft. Mir wurde dort nochmals die Möglichkeit gegeben, von meiner Verweigerung Abstand zu nehmen und als Bausoldat meinen Dienst antreten zu können, was ich aber verneinte.
Hier wurde ich erst in Einzelhaft, dann mit einem Totalverweigerer (Joachim Burkmann/Zeuge Jehova) zusammengelegt und dann mit zwei weiteren Gefangenen, die wegen fahrlässiger Tötung inhaftiert wurden. Das Leben auf dem Kaßberg war eintönig, eine Stunde Hofgang am Tag, und viele kleinliche Repressalien. Wir hatten uns ein Schachspiel aus Zeitungspapier gebaut, das dann bei Zellenkontrolle entnommen wurde. Nach 17 Tagen wurde ich plötzlich entlassen. Amtlich hieß es: „Der Einberufungsbefehl wurde zurückgezogen“. Ich verließ die Haft und fuhr in meine Freiheit zurück nach Annaberg.
In meinem weiteren Leben blieb die ethische Frage nach Krieg und Militär immer enorm wichtig. Selbst als ich als Diakon von 1991 bis 2021 in der evangelischen offenen Jugendarbeit in Neuruppin in den kirchlichen Dienst getreten war (Cafe Hinterhof). Hier begann 1991 der Kampf der Bürgerinitiative (BI) FreieHeide um die FreieHeide - die entmilitarisierte Nutzung eines ehemaligen Bombenabwurfplatzes.
Viele Themen waren dem Thema Frieden verpflichtet. Unter anderem arbeitete ich mehrere Jahre als Beratungsstelle für Kriegsdienstverweigerer und begleitete junge Männer in ihren Anträgen auf Kriegsdienstverweigerung. Es wurde ein Freundeskreis Totalverweigerer gegründet und solche Themen wie Protest gegen den Einsatz Deutschlands im Kosovokrieg, symbolische Besetzung des Kreiswehrersatzamtes in Neuruppin, Mayor for Peace, Sommeraktionstage FreieHeide, Friedensscheune Zempow, Aussstellungen mit der Friedensbibliothek Berlin waren immer wieder ein Teil meiner Arbeit in der Begegnung und Begleitung Jugendlicher.
Meine Grundhaltung als Pazifist hat sich nicht geändert. Das Waffenarsenal der Welt ist eine Gefahr für alle Menschen. Kriegerische Handlungen zerstören unsere Umwelt und Menschen. Die Ressourcen dienen dem Leben und nicht dem Tod. Gelingt es uns Menschen nicht, die Waffen abzuschaffen, droht die Welt an der Produktion, dem Verkauf und dem Einsatz von Waffen kaputt zu gehen. Das Ökumenische Konzil (Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung, Ökologie) bleibt als wichtige Aufgabe aller Menschen und für uns Christen besonders.
Das Reich Gottes beginnt mitten unter uns. Es ist Hoffnung und Aufgabe gleich. Krieg ist eine Geisel der Menschheit. Jede Stimme ist wichtig, jede Bewegung nötig, diese Erde zu bewahren. Heute und Jetzt und Morgen. Krieg darf um Gottes Willen nicht sein.
Neuruppin, 10.07.2021
Anhang
Notizen aus der Haft:
...Manchmal scheint mir, dass die Liebe in mir gestorben ist und die Zeit zu Sand geworden, welcher unaufhörlich in den Raum tropft, aus dem ich nicht mehr kann. Dann krieg ich den Blick nicht mehr hoch, selbst für diese halbe Stunde am Tag, wo die Sonne über mir brennt. Dann such ich dass Wasser des Flusses und zerschlage meinen Kopf an der Wand, bis es knackt...… ja manchmal spüre ich weder den Tod, noch das Leben - das man mir nahm – hier - und ich gehe nicht fort für immer - weil es da draußen noch Stimmen gibt, die für mich beten, flüstern… stärker als jeder Wahn.
...Tagesablauf: Licht anstatt Sonne, Schlüssel klappern, Frühstück-Marmelade und Schweigen, Zwischendurch das Auge durch die Tür, das auf mich schauht, das selbst beim Stuhlgang zuschaut, die Zeitung die von drei Seiten gelesen, an den Knast draußen erinnert, gebuckelte Meldungen, dann Verbrechergesang im Hof für eine halbe Stunde, gehen im Kreis unter Stachedraht, mittags gezählt die Fleischstücke im Essenstopf, dann Lesen mit der Gefahr des Rotanstriches, das Gesicht des Kalfaktors, für einen Tag Freiheit würde der sich selbst verraten, dann Abendbrot und versuchter Dialog über Erinnerungen mit mir selbst, die traurig schmecken, anschließend Lachanfall über die Verdauungsprobleme, die richbar geworden dem Kahn entweichen als Freiheitsgesang, das Löschen des Lichtes, dann leises Heulen im Kissen, das keiner hört außer vielleicht Gott - doch es bleibt das Kissen, das nach U-Haft stinkt......