Wolfram Frommlet (geb. 1945): "Da möchte ich lieber nicht mitmachen"

Von Wolfram Frommlet


Mein Vater redete wenig über die Zeit des Faschismus.

Er wurde von Nazis als Feuilleton-Chef der "Ulmer Donau-Zeitung"
entfernt. Kurz darauf erinnerten sie sich an ihn. Sie
zwangsverpflichteten ihn als Kriegsberichterstatter nach Berlin. Was er
dort erlebte, verursachte ihm nächtliche Schreikrämpfe, bis ich nach
dem Abitur das elterliche Haus zum Studium verließ.

Hechingen, Ende 1963

Ich habe mich zur Kriegsdienstverweigerung gemeldet, ohne schriftliche
Begründung. Ich zitiere lediglich das Grundgesetz. Bekomme den
Termin der Anhörung im Gymnasium.

Vor mir sitzen zwei Zivile. In der Mitte ein Bundeswehr-Offizier in Uniform.

Der linke Ärmel ist, ohne Arm, in die Jackentasche gestopft. Ein schneller
Gedanke. Eine Frage an die drei Herren: "Darf ich den Herrn in der Mitte,
bevor Sie mit der Anhörung beginnen, etwas fragen?"

Unmutige Reaktion. "Was wollen Sie fragen?"

"Was haben Sie mit Ihrem Arm gemacht?", frage ich den Herrn in Uniform.

"Können Sie sich das nicht vorstellen", bafft der zurück.

"Nein. Sonst würde ich Sie ja nicht fragen."

"Den habe ich im Krieg verloren."

"Einfach so den Arm verloren! Das ist ja entsetzlich. Und jetzt wollen sie
den zweiten auch noch verlieren?" Zwei Sekunden Pause. "Da möchte
ich lieber nicht mitmachen."

Eisiges Schweigen. Eisige Gesichter. Die drei Herren tuscheln
miteinander. Der eine Zivile faucht mich an: "Sie können gehen." 
"Entschuldigen Sie, aber wir haben uns ja noch gar nicht unterhalten."
"Hören Sie nicht? Sie können gehen."

"Na dann. Guten Tag."

Mein Vater findet die Nummer super, meint aber, die würde ich noch
bezahlen. Wir schließen eine Wette ab. Ich habe von der Bundeswehr
nie wieder einen Satz gehört. Auch nicht über irgendeinen Zivildienst,
der damals 18 Monate dauerte.

Frühjahr 1964, nach dem Abitur. In Tübingen gründe ich mit einem
Kommilitonen mithilfe der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) einen 
Beratungsdienst für Kriegsdienstverweigerer. Der Kommilitone war der 
Sohn eines Panzergenerals der Deutschen Wehrmacht.

Wir stellen die entwürdigenden Anhörungen nach, von denen uns 
berichtet worden war. Ich mache die Teilnehmer in gestellten 
Situationen fertig, bis ihnen die Tränen kommen. Dann bauen wir 
sie auf, spielen neue Anhörungen durch. Alle, die unsere "Beratungen" 
besuchten, schafften die Kriegsdienstverweigerung.

(Februar 2021)

Wolfram Frommlet, geb. 1945, Kriegsdienstverweigerung 1963; Journalist, Autor, Dozent und Kulturschaffender. Website:  www.frommlet-wolfram.de. Und auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfram_Frommlet