Stefan Müller (Jg. 1966): Glückskinder

Von Stefan Müller

Was willste machen, als Kind einer Konsumverkäuferin und eines evangelischen Pfarrers… Eben war ich noch zuhause und bin in den evangelischen Kindergarten gegangen… Gerade noch als Hirte zum weihnachtlichen Krippenspiel "treibt zusammen, treibt zusammen die Schäflein fürbass, treibt zusammen, treibt zusammen dort zeig ich euch was. Dort in dem Stall…" gesungen, mit Hut, Fellweste und Hirtenstab… Und im nächsten Moment gehe ich in die Polytechnische Oberschule und habe als einziges Kind kein blaues Halstuch. … kein Pionier… Nein, der Stefan darf nicht mit in das Lenin-Museum, er ist ja kein Pionier… Kein Jungpionier und auch kein Thälmannpionier… Ich kriege auch kein rotes Halstuch, geschweige denn ein weißes Hemd dazu. Pionier zu werden, hatten mir meine Eltern verboten. Alle aus meiner Klasse nahmen an der Jugendweihe teil. Ich wurde konfirmiert. Alleine in der Nicolaikirche. Nein, nicht in der berühmten Leipziger Kirche, sondern in der kleinen romanischen Fleckenkirche in Seeburg am Süßen See.

Der nächste vorgesehene Schritt als Jugendlicher in der DDR: die FDJ. Das sollte ich selbst entscheiden, ob ich in die FDJ (die Freie Deutsche Jugend, die "Jugendorganisation" der SED – der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands…) eintrete oder nicht. Mein Vater war selbst Mitglied der FDJ gewesen und meine Mutter hatte ihn gezwungen, wieder auszutreten, sonst hätte sie ihn nicht geheiratet. Ich soll das also selbst entscheiden. Monatelange Quälerei: wenn du eintrittst, dann haste keinen Stress im späteren Beruf, könntest etwas machen, wozu du Lust hättest, was Technisches, mit Autos, mit Studium, mit Flugzeugen, Abi… Sehr realistisch am Tage geträumt… Andererseits diese DDR… Diese nervende tägliche Heuchelei, diese entleerten ideologischen Rituale, dieses miese ausbeuterische System der eigenen "herrschenden Arbeiterklasse" und der versauten Umwelt gegenüber… und die scheiß Grenzen: ich will meine Tante und meinen Onkel in Berlin, West-Berlin besuchen. Ich darf nicht mal mit auf die Klassenfahrt nach Ostberlin, weil ich keine Jugendweihe mitgemacht habe… Was mache ich bloß? Was soll ich meinem Klassenlehrer antworten? Wenn die mit mir sprechen, mich umwerben? Wie soll ich da nein sagen? Der Tag der Entscheidung ist da: Die Antragsunterlagen für die Mitgliedschaft in der FDJ werden vom Klassenlehrer, dem Geschichtslehrer unserer Schule ausgeteilt. Hier für dich, für dich Andrea… für dich Elke… du ja nicht, Stefan… für dich Mario… Das war’s. Keine Werbung, keine Umwerbung, keine Anwerbung… Aber zwei Jahre später, 10. Klasse Abschluss mit 1 = "sehr gut", auch in Staatsbürgerkunde... Dem Lehrer gefiel, dass ich mit ihm gesprochen habe, dass ich aufsagen konnte, was Gehör finden wollte und meine eigene abweichende Meinung…

Meine Bewerbung für eine Berufsausbildung zum Heizungsinstallateur. Ich kannte sogar einen Lehrausbilder aus dem Betrieb vom Segeln – auf dem Süßen See war ich einige Jahre segeln, habe mich auf dem Süßen See segelnd über die Nordsee in die Karibik geträumt. Nichts... Lapidare Ablehnung mit dem Hinweis auf meine gesellschaftliche Unvollkommenheit… Und dann erfahre ich, dass ein Mitschüler einen Platz dort bekommen hat, der von den Zensuren einen halben Notendurchschnitt schlechter war als ich… Der Idiot! Fies und gemein! "Sauf lieber, rauch lieber, mach dich lieber anders tot!" Das war eine große Enttäuschung für mich. Die wollen mich einfach nicht haben. Mein Vater fährt mit mir zum Berufsberatungszentrum in die Lutherstadt Eisleben. In zwei Orten könne mir ein Ausbildungsplatz vermittelt werden – in Seeburg als Obstbauer – nee! Ich will in die weite Welt! Und als Chemiefacharbeiter oder als Maschinen- und Anlagenmonteur in… Tatataaaa: Bitterfeld. Im VEB Chemiekombinat Bitterfeld! Die dreckigste, giftigste Stadt Europas… Okay, dann mache ich das… Lehrlingswohnheim –  das LWH –, die Haare wurden länger und die Abneigung, der Ekel dem System und den brüllenden Meistern, Ausbilder:innen, Bullen, TraPoBullen (1), Parteisekretären, dem Dreck, der Schande und der Scham, allem gegenüber wurde größer. Mit 17 Jahren wurde ich gemustert, ich ließ mich zum "Bausoldaten" mustern – die hatte ich in der jungen Gemeinde im Lutherhaus kennengelernt: tolle, kluge Menschen, die in den Chemodreck, in die schlimmsten Giftküchen zum Arbeiten geschickt wurden, gemeinsam mit den Strafgefangenen in ihren Arbeitsanzügen mit gelben Streifen – zum Baden, ich übertreibe nur ein bisschen, zum Waten im Quecksilber. Ich hatte mich vorbereitet, was ich antworten könnte auf die Fragen der Musterungskommission. "Was würden Sie machen, wenn jemand durch das Fenster in Ihre Wohnung einbricht, Ihre Freundin vergewaltigen will und Sie haben eine Kalaschnikow dabei?" Thrillerszenario... Ich würde den wahrscheinlich abknallen – aber ich will niemanden gezwungen abknallen müssen! Usw. Nachdem der Arzt der Musterungskommission mir in den Allerwertesten geguckt hatte, wurde ich in das Zimmer hineingeschoben, in dem die Musterungskommission auf mich wartete. Drei Herren in Uniform schrieben in irgendwelchen Zetteln herum. Einer blickte mich streng an: "Sie sind kirchlich gebunden?!" Gedacht habe ich: ich will nirgendwo gebunden, sondern selbstständig, selbstbewusst und frei sein! Gesagt habe ich: "Ja." "Sie können wegtreten!" Das war’s…

Im Lehrlingswohnheim Orwell, Nietzsche und die Bibel gelesen… Aus der FDGB-Bibliothek Franz Kafka und Stefan Zweig geklaut…

Vormilitärische Ausbildung – das ganze Land war militarisiert: Pioniere, FDJ, GST (2) … alle in Uniform... Die Kampfgruppen, Grenztruppen, die Volkspolizei, "gute Freunde in der Volksarmee, sie schützen unsre Heimat zu Land, zur Luft und auf der See, juchhe!" Ich sage denen in der Berufsschule, dass ich nicht mit schießen werde… "Dann teilst du eben die Patronen aus." Der Unteroffizier, dem ich dazu sekundieren musste, schwärmt von der KK-Patrone. Kaliber 5,5! "Damit kannst du im Häuserkampf dem Feind den Arm abschießen!" Herrlich… Im Dreck robben musste ich trotzdem… Anbrüllen: "Mit deinen langen Zotteln wird das nüscht!" Am nächsten Tag – ich hatte mir ne Glatze schneiden lassen – 10 mm… Anbrüllen: "Musst du immer so extrem sein?!" Am übernächsten Tag – ich hatte mir ne richtige Glatze schneiden lassen – 1 mm… Kein Anbrüllen… Aus diesem gelbgrünen und vor allem roten Giftnebel weg, mit einem schlechten Gewissen: die Kolleginnen und Kollegen, die Freunde aus der Jungen Gemeinde in Bitterfeld, lasse ich dort zurück.

Nach Bitterfeld bin ich in den Harz nach Neinstedt gezogen – was für ein lokales Kontrastprogramm, in das Brüderhaus zur Diakonenausbildung… In der grünen und christlichen Oase ist auch nicht alles Gold was glänzt – Tschernobyl, ach ja, die scheiß Atomraketen, die laute und bunte Friedensbewegung im Westen und die permanenten Kontrollen der Trapo im Osten auf dem Weg nur in die Richtung Westen, Harz, Grenzgebiet… Nach zwei Jahren Grundkurs in Neinstedt zur Spezialausbildung nach Berlin, in die Stephanus-Stiftung – ich wollte Sozialdiakon werden! Berlin, die große Stadt… na gut, Ostberlin, aber immerhin. Wie sollte ich in diesem konterrevolutionären Sumpf mit meiner konterrevolutionären Vergangenheit es nicht weiter eskalieren lassen? Ihr wollt mich in der Opposition, dann kriegt ihr mich so! Aber dann richtig! Praktikum bei den Punks in Erlöser, nee AlösA! (3) Danke für den für immer geprägten guten Musikgeschmack! Danke für das Auftreten, ohne Platte zu machen! Bunt und laut! Mein Mentor war Lorenz Postler. Der nahm mich mit in den Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer! Hier lernte ich den Unterschied zwischen Dissertation und Desertion. Hier lernte ich Michael Frenzel kennen… Hier machten wir schöne Aktionen, schrieben unsere Totalverweigerung an das Wehrkreiskommando, schrieben "Sag Nein!", bastelten zur Friedenswerkstatt in AlösA 1988 unser wunderschönes Denkmal für den unbekannten Deserteur… das steht jetzt im Jugendwiderstands-Museum in Friedrichshain. Im Freundeskreis lernte ich meine jungen Zieheltern Andreas und Janni Mrachacz kennen. Kontakte und Connection zu anderen "antisozialistischen Elementen" in Polen, bspw. "Element antysocjalistyczny", diesen runden Sticker aus Polen brachte ich von dort mit und bezichtigte mich damit selbst. Gosia aus Wroclaw usw.

Vom Freundeskreis aus wurden so wunderschöne Aktionen geplant und ausgeführt, wie mit dem Friedenskreis Weißensee (diese Sofdies, wollten einen sozialen Friedensdienst, einen Zivildienst… Wir waren für die Abschaffung aller staatlichen Zwangsdienste, ha, da habt Ihrs!). Die Auszählung der Wahlen in Weißensee am 07.05.1989, wir schrieben Briefe an die chinesische Botschaft und versuchten sie zu übergeben (06.06. und am 22.06.1989)… wir wurden beide Male auf den LO (LKW) verladen und mussten die ganze Nacht in der Garage mit dem Gesicht zur Wand stehen… Jeden Siebten des Monats die Demos mit dem Friedenskreis Weißensee, 07.06. vor der Sophien-Kirche: "Nie genug vom Wahlbetrug" mit Micha Heinisch, Stephan Neuß, Hagen Thiel, den Mrachaczs, die schon einen Ausreiseantrag gestellt hatten. Und mit vielen Spitzeln: Gottfried Gartenschläger zum Beispiel… Ich war sein junger Sozialdiakon in seiner Kirchengemeinde Friedrichsfelde. Als wir losgingen, brüllte er: Eh, Müller, weeßt du eijentlich wat dich erwartet!?" Antwort aus der kleinen Meute: "Geh lieber arbeiten!" Ich hätte mich totlachen können… Nach ein paar Metern auf der Straße: Zuführung (= Festnahme). Nächster Monat am 07.07. nicht mal bis zum Alex gekommen: Zuführung. 07.08.1989 Urlaub… 07.09.1989 T-Shirt-Aktion: "7. Mai Wahlbetrug" – in den Brunnen gesprungen, Zuführung und beim Verladen in den LO-Bus wurde mir der Arm gebrochen. Ja, aua, aber im Nachhinein ist ein Armbruch ja kein Beinbruch… 7. Oktober, ach du Scheiße, die wollen ihren Republikgeburtstag feiern. Okay, wir sind für die Kriminelle. Dann wollen wir richtige Kriminelle sein! Dann lasst uns Geld fälschen! Ein Grund mehr, uns für Jahre einzubuchten. Die "40 Quark-Schein"-Idee und die Umsetzung mit der Connection über Mario Albrecht, Uwe Gottschling nach Polen. In der leergeräumten Wohnung der Mrachaczs – ihr Ausreisetermin war der 11.10.1989… Hannah, die kleine Tochter sieht die vielen Geldscheine in der großen Wohnung und jubelt: "Wir sind reich! Wir sind reich!" Permanente Stasi-Beschattung vom 04.10.1989. Am 08.10. Zuführung brutal, sadistisch – eine ganze Nacht und bis zum Nachmittag des 09.10. – zweimalige Vernehmung – einmal Kripo, einmal Stasi… und in Leipzig wurde nicht geschossen… 

Und dann – ich kürze mal ab: der Neunte November 1989! Keine Wende! Ich sehe sofort Krenz vor mir und muss immer noch kotzen… Nein! Die Friedliche Revolution! (Ich habe Friedlich mit Absicht großgeschrieben!) Wir haben gewonnen! Sieg! Aus und vorbei! Das ständige Begleitgefühl, die Angst, wie weggeblasen. Das darf doch nicht wahr sein! So vieles erinnerte in der DDR an Bilder aus der Nazi-Zeit, die Aufmärsche, die ganze graue Scheiße… Vorbei! Alles vorbei! Wie ein zerplatzter Luftballon! Vorbei! Aus und vorbei!

Und was kommt jetzt? Es geht weiter: Am 01.03.1990 der vom Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer eingeführte Tag der Abschaffung der Wehrpflicht. Berlin sagt nee – Wehrpflicht adé. Inzwischen wohnt Gerhard Scherer bei mir in der Albrechtstraße. Er ist abgehauen – in die umgekehrte Richtung von West- nach Ostberlin… Lehrer von Beruf und Wehrpflichtflüchtling, der an die Bundesrepublik ausgeliefert werden sollte… Dann der Brief vom Wehrkreiskommando, nee vom Kreiswehrersatzamt: wollen Sie Ihre Verweigerung aufrechterhalten. Ja, na klar! Sie schreiben immer noch auf derselben Schreibmaschine, haben nur die Uniformen gewechselt – und wenigstens offiziell die totalitäre Ideologie aufgegeben… Ja, ich verweigere alle Zwangsdienste! Dann der zweite Brief auf dieser Schreibmaschine vom Kreiswehrersatzamt: Bitte Lebenslauf und Begründung für die Verweigerung einreichen. Nein, ich beende die Kommunikation mit Ihnen – einseitig…

Was für ein Glück! Im Osten weder für meine Kriegsdienstverweigerung noch für die anderen konterrevolutionären Umtriebe, die Zusammenrottungen, die feindliche Kontaktaufnahme, die Herabwürdigung… nur ein bisschen zugeführt! Nicht für Jahre in den Knast! Wie viele hatten nicht dieses Glück, sind traumatisiert, gebrochen und verletzt durch "Zersetzungsmaßnahmen" und daran zugrunde gegangen. Die letzten vier Jahre der DDR wurde niemand mehr für die Verweigerung des Wehrdienstes inhaftiert. Weil sie keine Fürbittgottesdienste in den Kirchen wollten. Die hätten das Problem ja noch bekannter gemacht. Der SED-ZK-Bonze, der das verkündete – Name vergessen – wollte keine Werbung für die Kriegsdienstverweigerer… 

Und im Westen? Keine Reaktion auf meine einseitige Beendigung der Kommunikation. Und inzwischen gibt es keine Wehrpflicht mehr!

Mein Verweigerungsweg, meine Friedliche Revolution. Eine lebenslange Motivation! Für meine Familie, meine Freunde, auch für meine Arbeit im Kindernotdienst: Jeden Tag eine kleine friedliche Revolution für Kinder! Ein bisschen von dem Glück abgeben… Nachdem dieses System erledigt ist, erscheinen mir heute fast alle Probleme lösbar.

(18.05.2021 )


Nachtrag 04.06.2021:

Zwei Tage nach dem Tod meines Vaters rief Andreas Mrachacz an. Er habe den Text "Glückskinder" gelesen. "...deine ‚jungen Zieheltern' also..." Seine Stimme und ich hatte sofort wieder seine Wohnung in Berlin mit den fünf Meter hohen Wänden im Kopf... unter der selbstgezimmerten Galerie haben wir stundenlang mit seinen Porti-Kippen (jugoslawische Strohzigaretten) die riesigen Räume vollgeräuchert, seinen Wein ausgesoffen, meine Musik gehört... "ich hab Hass, Hass auf Staat und Polizei, Hass auf die ganze Tyrannei..." Die passende Westmusik zu den real existierenden Ostzuständen... Und "wer tritt dir da die Türe ein, das ist der Bulle, das alte Schwein..." - nach einer Wohnungsdurchsuchung bei mir zuhause... Diskutiert... Briefe an die Chinesische Botschaft verfasst, Demos zum Wahlbetrug zu jedem siebten des Monats mitgeplant und -gemacht... Demosets gepackt: eine Packung Othello-Kekse, zwei Schachteln blaue Kenton usw. ... damit wir für die Zuführungen ausgestattet sind... und gegen Zwangsdienste jeglicher Art gewettert... Die 40-Quark-Scheine gedruckt...

Er wäre jetzt bei den Bösen... bei wem? ...den Bösen! ...na die AfD! ...Foxtrott.Uniform.Charlie.Kilo!

Ist er also auch diesen Hufeisen förmigen Weg mäandert... wie so viele meiner ostdeutschen Landsleute... 52 Jahre totalitäre Systeme in den Knochen und im Kopf... vom roten autoritären Staat freigestrampelt, friedlich befreit... In den demokratischen, pluralen Strukturen den Kompass zu den Freiheiten verloren... Meinungs-, Presse-, Wahl-, Reisefreiheit... das damit verbundene alltägliche, verantwortungsvolle Handeln... (Wenn sie fehlen, fehlen sie schmerzhaft!) ...globale Fragen und die Sehnsucht nach einfachen erteilten Antworten... Immer wieder auftretende schmierige Politiker, "Wessis", die perfekt passende Bezeichnung dafür, wenn das Ossiabziehbild gleichzeitig dazu gedacht wird... Die waren und sind ja auch nicht gerade eine herzliche Einladung zur sozial gelebten Demokratie... Aber Grenzen hoch, Ausgrenzen, am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen sind nicht meine Erfahrungen. ...weder 1989/90 noch in 30 Jahren sozialer Arbeit, weder Zuhause noch mit meinen Freundinnen und Freunden aus Kreuzberg auf der Bühne und vor der Kamera... Gegeneinander machen wir uns alles unmöglich - miteinander ist alles möglich!

Eine der letzten politischen Äußerungen meines verstorbenen Vaters: "Ich war früher ein stolzer weltoffener Sachse. Mit Pegida, NPD, AfD und Querdenken schäme ich mich richtig dafür."

...ich auch, obwohl in mir inzwischen eher ein Sachsen-Anhaltiner und Berliner steckt...


Anmerkungen:

(1) TraPo, die Transportpolizei, die besonders in den Zügen kontrollierten, die in Richtung Westgrenze unterwegs waren.  Sie fischten gerne bunt und anders gekleidete junge Menschen heraus, zur Kontrolle und Schikane.

(2)  GST, die Gesellschaft für Sport und Technik, war eine paramilitärische Organisation für Jugendliche und junge Erwachsene, die hier für die "bewaffneten Organe" vorbereitet worden sind.
(3) AlösA, heißt auf berlinerisch Erlöser so wie Butta Butter heißt, und bezieht sich auf die Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg. Geschrieben war das ein gefundenes Fressen für die Anarchopunks, die das vorn und hinten mit großem A und einem Kreis darum schreiben konnten.

Stefan Müller am 23.02.1966 in Leipzig geboren. Aufgewachsen in Seeburg am Süßen See, Kind einer Konsumverkäuferin und eines Pfarrers.

Bis 1982 POS "Walter Schneider" Lüttchendorf.

Kein Pionier, keine FDJ, keine Jugendweihe...

Bis 1984 Lehre zum Maschinen- und Anlagenmonteur im VEB Chemiekombinat Bitterfeld.

Bis 1989 Ausbildung zum Sozialdiakon in Neinstedt und Berlin.

Seit 1987 im Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer in Berlin.

Bis zum 20.10.1989 siebenmal von der VP oder der Stasi "zugeführt", d.h. festgenommen, geschlagen, stundenlang an der Wand stehend, "Beine auseinander - Hände übern Kopf!", zigmal von der Kripo und der Stasi vernommen, weil ich Briefe an die Chinesische Botschaft in Pankow übergeben wollte, weil ich an Demos gegen die Wahlfälschung Mai 1989 beteiligt war... Bei der Demo am 07.09.1989 auf dem Alexanderplatz wurde mir von der Stasi der Arm gebrochen. ...die waren sauer, weil wir vor ihnen abgehauen und in den Brunnen gesprungen sind und die hinterherhüpfen mussten...  weil ich am 08.10.1989 an der Gethsemanekirche von der Sperrkette des Stasi-Wachregiments "Feliks Dzierzynski" einfach so, aber ziemlich brutal, weggefangen wurde. Nein achtmal! ...ich vergesse immer, dass mich die Grenztruppen der DDR im Oktober 1989 aus dem Zug nach Wroclaw/Polen fischten... und die dabei unsere Flugblätter und "Sag nein!"-Heftchen in meinem Rucksack ganz unten fanden und mich dafür über Nacht in ein dunkles Loch steckten...

15.01.1990 beim Stürmchen auf die Stasi-Zentrale dabei.

Seit 1990 Dipl. Sozialarbeiter im Jugendnotdienst Berlin.

1990 kurz vor der Wiedervereinigung an der Besetzung der Stasi-Zentrale und dem Hungerstreik beteiligt.

2000 bis 2003 Studium an der UdK Berlin, Theaterpädagogik, Master of Arts

Seit 2007 Soziale Arbeit im Kindernotdienst Berlin.

Verheiratet, vier (und was für tolle!) Kinder.

Laufe gerne, manchmal auch Marathon und kann das Radeln mit dem Rennrad und sehr laute Musik in kleinen Kellern genießen.