Gerfried Ferchau (geb. 1953): "Ich verweigere mich"

Von Gerfried Ferchau

 

Ich heiße Gerfried Ferchau und wurde 1953 geboren. Mit meiner Frau lebe ich im Rhein-Sieg-Kreis. Aufgewachsen bin in der Nähe von Hamburg. Meine Mutter war sehr religiös und hat mich gemäß ihres Glaubens erzogen. 1968 wurde ich konfirmiert und von unserem Pastor Wollermann gefragt, ob ich als "Kindergottesdiensthelfer" mitarbeiten wolle. Ich stimmte zu, und so brachte ich mit anderen Jugendlichen meines Alters jeden Sonntag Kindern Geschichten aus der Bibel nahe. Später trat ich dem CVJM und dem kirchlichen Bläserkreis bei.

Etwa 1972 begann mich die Frage zu beschäftigen, ob ich zur Bundeswehr gehen oder ob ich "Wehrersatzdienst" anstreben sollte. Zwar war es mein Recht, den "Kriegsdienst mit der Waffe" zu verweigern, jedoch wurden alle automatisch als "Drückeberger" abgestempelt, die sich nicht für den Dienst in der Bundeswehr verpflichteten. Aber für mich war völlig klar, dass ich verweigern würde. So begann ich mit einer gründlichen Vorbereitung auf das obligatorische Prüfungsverfahren: Ich besorgte mir entsprechende Fachliteratur und schnell wurde mir klar, dass ich weder aus politischen noch aus ethisch-moralischen Gründen verweigern würde. Ich hatte religiöse Motive und berief mich in meinem Antrag auf Art. 4, 3 GG. In meiner Begründung schrieb ich u.a.:

"Meine Eltern, insbesondere meine Mutter, haben mich schon früh mit der Bibel bekanntgemacht. Ungefähr seit dem 5. Lebensjahr besuchte ich den Kindergottesdienst unserer hiesigen Kirche. Sofort nach meiner Konfirmation trat ich auf Anraten von Pastor Wollermann in den Dienst eines Kindergottesdiensthelfers ... Ich habe mich mit dem Problem des Krieges ausführlich auseinandergesetzt, durch Lesen von entsprechender Literatur ... Dabei hat mich der auf Kriegstatsachen beruhende Film "Mein Kampf" ... sehr schockiert. Auch Diskussionen mit Wehrdienstbefürwortern und -gegnern trugen zu meiner Meinungsbildung bei. ... Ich kann es daher nicht mit meinem Gewissen verantworten, einen anderen Menschen im Ernstfall töten zu müssen (5. Gebot), da für mich der "Gegner" in erster Linie ein Mensch ist, dessen Recht auf Unverletzlichkeit ich respektieren muss."

Unterstützung bei der Vorbereitung auf die mündliche Prüfung bekam ich von meinem Pastor, Herrn Wollermann. Die Einladung vom Prüfungsausschuss für Kriegsdienstverweigerer beim Kreiswehrersatzamt Lüneburg erhielt ich über meine Mutter am 16.01.1973. 


Der mündliche Verhandlungstermin war am 15.2.1973. Zwischen der Einladung und dem Termin waren also nur vier Wochen Zeit für die Vorbereitung. Aber ich hatte ja vorgesorgt und mich schon längere Zeit auch mit der Hilfe meines Pastors auf diesen Tag eingestellt. Ich fühlte mich gut präpariert, war jedoch sehr angespannt und nervös, denn ich bekam panische Gefühle bei dem Gedanken, als "Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen" abgelehnt zu werden.

Am 15.2.1973 erschien ich gemeinsam mit Pastor Wollermann vor dem Prüfungsausschuss in Lüneburg. Ich war sehr aufgeregt und Pastor Wollermann hat wohl beruhigend auf mich eingeredet. Der Prüfungsausschuss bestand aus drei Herren. Das Verfahren lief in einer ruhigen und sachlichen Atmosphäre ab. In Erinnerung ist mir eine "Fangfrage" geblieben, die ich bereits aus meiner umfangreichen Vorbereitung auf diese Prüfung kannte:

"Nehmen wir an, Sie gehen mit ihrer Freundin im Wald spazieren und sie wird von einem anderen Mann angegriffen. Wie verhalten Sie sich?"

Meine Antwort kam prompt und eindeutig: Ich ließ keinen Zweifel daran, meine Freundin mit aller Kraft zu schützen und zu verteidigen.

Die Versammlung war beendet, der Prüfungsausschuss zog sich zur Beratung zurück und ich musste mit meinem Pastor auf dem Flur warten. Das waren quälende Minuten. Dann wurden wir wieder in den Raum gerufen und mir wurde mitgeteilt, dass ich als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wäre. Später erzählte der Prüfungsausschussvorsitzende meinem Pastor, dass ich ein "klarer Fall" gewesen wäre. Hätte ich aber beim vorgestellten Angriff auf meine fiktive Freundin die Hilfeleistung abgelehnt, wäre ich durch die Prüfung gefallen. Begründung: Individuelle Notwehr ist von kollektiver Kriegshandlung streng abzugrenzen.

Für mich wäre es eine persönliche Katastrophe gewesen, wenn ich nicht anerkannt worden wäre. Ich hätte mit Sicherheit einen erneuten Antrag gestellt. Aber dazu musste es ja nicht mehr kommen.

Der gesamte Prozess von der Vorbereitung bis zur endgültigen Verkündung war für mich sehr belastend und aufwühlend. Sehr hilfreich war die Unterstützung von Pastor Wollermann.

Nach meiner Anerkennung kümmerte ich mich sofort um eine Zivildienststelle. Das war sehr schwierig, es gab kaum freie Plätze, zumal ich unbedingt im Krankenhaus arbeiten wollte. Nach umfangreichen Bemühungen erhielt ich vom Hafenkrankenhaus Hamburg eine Zusage. Da der Zeitpunkt für meinen Dienstantritt noch nicht terminiert werden konnte, nahm ich nach meinem Abitur im Mai 1973 eine Aushilfstätigkeit Anfang Juli beim Paketpostamt in Hamburg an. Am 12.07.1973 kam ein Vorarbeiter auf mich zu und teilte mir mit, dass ich am nächsten Tag nicht mehr zur Arbeit kommen könne. Ich war völlig konsterniert, und fragte ihn, was denn vorläge.

Sie müssen Ihren Wehrersatzdienst antreten!

Das passte mir gar nicht, denn ich hatte geplant, bis zu meinem Studium Geld zu verdienen, um ein finanzielles Polster aufzubauen. Ganz nach dem Motto "Dienst ist Dienst" begann ich meine Arbeit am 13.07.1973 im Krankenhaus.

Meine Entscheidung, den "Wehrdienst mit der Waffe" zu verweigern, habe ich zu keinem Zeitpunkt bereut. Ich bin glücklich, dass ich tiefgreifende Erfahrungen im Krankenhaus sammeln konnte, die mein Leben nachhaltig geprägt haben. Gerade in dieser Pandemie fühle ich mit allen Pflegekräften und Ärzten mit, weil ich aus eigenem Erleben weiß, wie hart die Arbeit im Krankenhaus schon in "normalen" Zeiten sein kann.

Ich bin 67 Jahre alt. Ich würde alles wieder genauso machen.

Mondorf, 04.05.2021