Armin Lauven (geb. 1955): „Auch Zivildienst ist Kriegsdienst!“ 

Von Armin Lauven

 

Die intensive Auseinandersetzung mit dem Zivildienst und seiner strukturellen Verankerung im System staatlicher Zwangsdienste und der darauf aufbauenden ausschließlich militärischen Landesverteidigung (s. Weißbuch zur zivilen Verteidigung, Köln 1973) führten mich zu der Einsicht und Forderung:

  • Abschaffung aller staatlichen Zwangsdienste und der Bundeswehr!
  • Verweigerung aller staatlichen Zwangsdienste!


Entscheidend für meine Kriegsdienstverweigerung sind zweifellos mein Elternhaus und damit verknüpft meine Familiengeschichte: feste Verankerung im christlichen Glauben, enge Anbindung an die Kirchengemeinde, gewaltfreie Erziehung geprägt durch die Kriegs(dienst)erfahrungen beider Großväter und meines Vaters, Fluchterlebnisse und -traumata der Großmütter und meiner Mutter. Die in diesen Zusammenhängen grundgelegte Ablehnung von Gewalt und Krieg als Mittel der Konfliktlösung auch und vor allem im zwischenstaatlichen Bereich wurde durch die medial vermittelte Berichterstattung und Kommentierung konkreter Kriegsereignisse – z.B. in Vietnam, Nahost, Nigeria (Biafra), Republik Kongo (Zaire) – und meine Auseinandersetzung mit der Gesamtproblematik sowie deren persönliche Verarbeitung weiter verstärkt. Das eigene Erleben des sog. Kalten Krieges und der damit verbundenen Bedrohungslagen (z.B. Kuba-Krise, Aufrüstung in Ost und West mit der Entwicklung entsprechender konkreter Kriegsszenarien, sog. Stellvertreterkriege weltweit) führte auch mir deutlich vor Augen, dass eine auf (nuklearer) Abschreckung basierende Militärdoktrin absurd und bar jeder Vernunft ist, da angesichts der vorhandenen Rüstungspotenziale (mehrfacher sog. Overkill) eine wie auch immer geartete militärische Landesverteidigung absolut unmöglich und daher völlig sinnlos ist. 

Die mit diesen Überlegungen und Erkenntnissen einhergehende intensive Beschäftigung mit Schriften Gandhis, M.L. Kings, H.D. Thoreaus und auch biblischen Texten (z.B. der Bergpredigt) bestärkten mich in meiner Haltung und lieferten mir den ethischen bzw. moraltheologischen und auch staatsphilosophischen Überbau für mein konkretes politisches Handeln als angehender Wehrpflichtiger. 

Meine Einsichten wurden von meinen Freund*innen in Schule und Pfarrgemeinde weitgehend geteilt und mündeten in gegenseitiger Unterstützung bei den einzelnen zu berücksichtigenden Verfahrensschritten im Blick auf den –„Ableistung des Wehrdienstes / Erfüllung der Wehrpflicht“ genannten – Kriegsdienst mit der Waffe: Antragstellung, Ausarbeitung einer schriftlichen Begründung für den KDV-Antrag, sog. Zeugenaussagen für betroffene Freunde, Einholen von diesen Aussagen für den eigenen Antrag, Simulation der anstehenden Verhandlung unter Berücksichtigung der zu erwartenden (Fang-)Fragen usw. usf.

Mein an das Kreiswehrersatzamt Köln gerichtetes (Ein-) Schreiben, „mich als Kriegsdienstverweigerer anzuerkennen. Ich berufe mich auf Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes“ datiert vom 1.2.1974. Damals wurde geraten, spätestens 14 Tage vor dem anberaumten Musterungstermin (19.2.1974) diesen Antrag eingereicht zu haben, weil nur so gewährleistet sei, dass man nicht zum „Wehrdienst“ (Kriegsdienst mit der Waffe!) eingezogen werden könne.

Die dann in meiner schriftlichen Begründung für den „Prüfungsausschuss für Kriegsdienstverweigerer beim Kreiswehrersatzamt Köln“ dargelegten Motive für meine Kriegsdienstverweigerung lesen sich auch nach 47 Jahren immer noch sehr überzeugend, plausibel und nachvollziehbar, wenngleich natürlich damals wie heute gilt, dass niemand (außer man selbst natürlich!) das Recht (und die Pflicht) hat, eine Gewissensprüfung bei einer anderen Person vorzunehmen! Ein vom Militär eingerichtetes Prüfungsgremium (bei mir am 30.10.1974 bestehend aus: einem Assessor als Vorsitzendem, einem Regierungsangestellten, einem Verwaltungsangestellten und einem Kriminal-Hauptmeister als gewählten Beisitzern) schon gar nicht. Dieses war (und ist) aus meiner Sicht weder befugt noch in der Lage, (m)ein Gewissen zu prüfen: dies kann nur der Betroffene selbst tun, er hat seine „innere Stimme“ zu hören und dieser zu folgen, ganz gleich was andere Menschen, Staat, Gesetz(e) oder gar Militär sagen, verlangen oder befehlen.

Dieser Prüfungsausschuss sah sich gestützt auf §§ 26 und 19 Wehrpflichtgesetz allerdings „berechtigt und verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und die erforderlichen Beweise zu erheben. Da bei der Entscheidung über den Antrag die gesamte Persönlichkeit des Antragstellers und sein sittliches Verhalten zu berücksichtigen sind“, bittet die / der Angestellte E. „Hochachtungsvoll ... Im Auftrag“, „um entsprechende Angaben, die Rückschlüsse auf (die) gewissensmäßige Einstellung zum Wehr- und Kriegsdienst mit der Waffe ermöglichen“. 

Ob die fünf von mir beigelegten Referenzen (Eltern, Gemeindepfarrer, Religionslehrer, Freund der Familie, Klassenkamerad) bei der „gebührenfrei ergehenden Entscheidung“ des Ausschusses eine Rolle gespielt haben, ist mir nicht bekannt, deren Bedeutung für das Verfahren daher auch nicht einschätzbar. Für mich besitzen sie allerdings bis heute einen hohen Stellenwert als mich ermutigende und mein Tun unterstützende und würdigende Dokumente. 

Die Erinnerung an die Verhandlung verblasst zunehmend, die üblichen – der Verunsicherung dienenden – Fragen nach Notwehr, Nothilfe, dem Gebrauch von (zufällig) mitgeführten Waffen, militärischer Landesverteidigung u.v.a.m. habe ich – wie vorher ausgiebig trainiert – redlich zu beantworten versucht. Ich habe diese „Sitzung“ als tatsächliche Prüfung empfunden: angstbesetzt, angespannt, hoch konzentriert, engagiert bei der Sache, also durchaus vergleichbar mit mündlichen Prüfungen und Kolloquien zum Abschluss von Studium und Referendarzeit bzw. bei Revisionen, denen ich mich in den folgenden Jahrzehnten zu unterziehen hatte. 

Meinen Zivildienst (7.3.1977 – 30.6.1978) habe ich während meines Studiums absolviert, weil die zunächst von mir benannten Rückstellungsgründe vom Bundesamt für den Zivildienst nicht länger akzeptiert wurden und sich die Gelegenheit ergab, während des Zivildienstes eine Ausbildung zum Krankenpflegehelfer aufzunehmen und mit einer staatlichen Prüfung abzuschließen. (Anfang der 1970er Jahre hatte der damalige Bundesarbeitsminister Katzer per Erlass diese Möglichkeit geschaffen.) An diese einjährige Ausbildungszeit habe ich ausschließlich gute Erinnerungen, weil ich in dem sog. Krankenpflegehilfekursus bei den zuständigen Schulschwestern, auf den drei Pflegestationen der Universitätskliniken und von den Mitschüler*innen (junge Leute ganz unterschiedlicher Herkunft, Vorbildung und jeweiliger Lebenssituation) sehr viel gelernt habe, was für meinen weiteren Lebensweg sehr wertvoll und wichtig gewesen ist. Ich habe mich damals zwischenzeitlich sogar mit dem Gedanken getragen, in einer Krankenpflegeschule als Lehrer tätig zu werden.

Weniger häufig und üblich als das bisher Beschriebene ist nach meinem Zivildienst die Teilnahme an der sich anschließenden Initiative „Verweigerung der Zivildienstüberwachung“, die Ende der 1970er Jahre in verschiedenen Gruppen von Kriegsdienstverweigerern und ehemaligen Zivildienstleistenden intensiv diskutiert und dann gestartet wurde (so u.a. auch in Bonn). Die weiterhin sehr aktive Beschäftigung mit der Thematik Wehrpflicht – Kriegsdienstverweigerung – Zivildienst führte einige Beteiligte – auch auf dem Hintergrund der konkreten Erfahrungen während ihrer Dienstzeit – zu der Überzeugung, dass der sog. Zivildienst einen Ersatzdienst für die abzuleistende Wehrpflicht darstellt(e) und keine echte Alternative zum Militärdienst. In einigen politischen Zusammenhängen wurden in der Folge dann die Gedanken eines aktiven Friedensdienstes bzw. auch sozialer Verteidigung entwickelt. 

Die Einbindung des Zivildienstes in die militärischen Strukturen und Befehlsgewalten der sog. Landesverteidigung, die Verpflichtung zu unbefristet zu leistendem Zivildienst im Kriegsfall, um auf diese Weise Soldaten für die Kriegsfront freizustellen, und die daraus resultierende Zivildienstüberwachung führten auch mich zu der Einsicht, dass die Konsequenz meiner Kriegsdienstverweigerung künftig darin zu bestehen hat, alle Formen der Mitbeteiligung an Planung, Vorbereitung, und Durchführung militärischer Handlungen strikt zu verweigern und den zuständigen Stellen folglich anzukündigen, einer Einberufung zu unbefristetem Zivildienst im Kriegsfall auf keinen Fall nachzukommen und auch die Zivildienstüberwachung abzulehnen. 

Ausdruck verliehen wurde diesen Überlegungen bzw. getroffenen Entscheidungen in Offenen Briefen an das Bundesamt für den Zivildienst, das dann mitteilte, es gehe nicht an, „gesetzliche Regelungen durch einseitige Erklärungen eines Einzelnen außer Kraft zu setzen bzw. zu negieren“.


Es wurde auf die Gesetzwidrigkeit der (meiner) Ankündigungen hingewiesen, mit Bußgeld- und Strafverfahren gedroht, wenn den gesetzlichen Verpflichtungen nicht Folge geleistet würde. Bei dieser Mitteilung des Bundesamtes für den Zivildienst ist es von staatlicher Seite bislang dann geblieben.

Auch wenn mein Engagement für Totalverweigerung und die aktive Solidarität mit Totalverweigerern ungebrochen ist, muss ich selbstkritisch feststellen, dass ich in einem (vielleicht nicht ganz unwichtigen) Punkt die nötige Konsequenz habe vermissen lassen: Wohnort- und damit verknüpfte Adressenwechsel habe ich den zuständigen Meldebehörden in den letzten vierzig Jahre immer brav mitgeteilt, dem Bundesamt für den Zivildienst allerdings nie. Diese Heldentat ist allerdings nicht allzu hoch zu veranschlagen, weil ich diesem Amt gegenüber auch nur bis zu meinem 32. Lebensjahr zur Meldung verpflichtet war!

Auch in der Rückschau beurteile ich meine Tätigkeiten während meines Zivildienstes als sinn- und wertvoll, zumal mir eine erste Berufsausbildung ermöglicht wurde, was meine Persönlichkeitsentwicklung in jeder Hinsicht bereichert und gefördert hat. Die strukturelle Einbettung meiner Zivildienstgruppe (Bonn, Klinikgelände), bei der ich mich per „Einberufungsbescheid vom 23.2.1977 zur Ableistung des Zivildienstes ... gemäß §§ 19 und 24 des Zivildienstgesetzes ... (N)nach dem vollziehbaren Musterungsbescheid in Verbindung mit § 25 des Wehrpflichtgesetzes“ einzufinden hatte, in den Gesamtkontext, dass auch der gesamte Zivilbereich dem Militärischen unter- bzw. in diesen eingeordnet ist, stand während der Pflege und Betreuung der mir anvertrauten Patient*innen nicht im Vordergrund. In Gesprächen mit ehemaligen Bundeswehrsanitätern, die nun als zivile Krankenpfleger tätig waren, wurde allerdings deutlich, dass ich diese im Kriegsfall dann als Zivildienstleistender zu ersetzen hätte, damit sie ihrer Einberufung zum Kriegsdienst nachkommen könnten.

Die beschriebene Zivildienstüberwachungsverweigerung markierte den Einstieg, neben der normalen friedenspolitischen Arbeit mich auch künftig – möglichst gemeinsam mit meiner Bonner pax christi-Basisgruppe – an Aktionen Zivilen Ungehorsams (z.B. Blockaden und Aufrufe zu diesen in Mutlangen, Hasselbach, Bonn, Geilenkirchen, Büchel, Appelle an Soldaten zur Befehlsverweigerung im Jugoslawien-, Afghanistan- und Irakkrieg bzw. bei kriegsvorbereitenden Manövern wie Steadfast Noon) zu beteiligen bzw. zu deren Teilnahme aufzurufen, mich mit Kriegs- wie Zivildienst TOTAL Verweigernden zu solidarisieren sowie Kriegdienstverweigerer weltweit aktiv zu unterstützen.

 Bonn, den 26.4.2021

Armin Lauven

  •  Jahrgang 1955
  •  Lehrer
  •  seit 40 Jahren Mitglied der pax christi-Gruppe Bonn